10 JAHRE JAZZWERKSTATT IN BERLIN UND BRANDENBURG - EINE BILANZ.
Nach einer Buchlesung aus FREIE TÖNE, im Herbst 2006 in Thüringen, traf ich Jazzfans und Musiker, Journalisten und Veranstalter der ehemaligen Jazzszene der DDR in Eisenach nach etwa zwanzig Jahren erstmals wieder. Sie berichteten resigniert über die verschlafene Situation im Berliner Jazzleben, das in Ost und West mehr oder weniger nebeneinander dümpelte. Große Impulse gab es nicht. Das stimmte mich nach fast zwei Jahrzehnten Abwesenheit vom Jazzleben traurig, obwohl ich eigentlich über die vielen Wiederbegegnungen froh war. Die Nacht im Hotel auf der Wartburg war unruhig, ich dachte nach und auf der Heimfahrt nach Wuppertal erzählte ich meiner Frau Uschi, dass ich wieder etwas für den Jazz tun wolle. Wenige Monate später wurde der Förderverein jazzwerkstatt Berlin- Brandenburg e.V. (Gründungsmitglieder: Uschi Brüning, Ernst-Ludwig Petrowsky, Ernst Bier, Uwe Kropinski, Friedhelm Schönfeld) gegründet und das erste Konzert fand im September 2007 im Kammermusiksaal mit diesen Gründungsmitgliedern und dem Peter Brötzmann Trio Sonore statt.
Bis heute fanden in den unterschiedlichsten Konstellationen und auf den unterschiedlichsten Bühnen fast 1.000 Konzerte statt, auch Festivals (European Jazz Jamboree, Orient + Okzident, erstmals schon 2008, Discover US, Berlin Meets Africa, Berlin in New York, 2010 in Brooklyn), Konzertreisen und Austauschprogramme in und mit vielen europäischen Städten (Rom, Palermo, Lana in Südtirol, Luxembourg). Der Höhepunkt war seinerzeit die Neugründung der jazzwerkstatt Peitz vor sieben Jahren, dazu die Buchveröffentlichung über die Geschichte des einstmals größten zeitgenössischen Jazzfestivals der untergegangenen DDR: 'Woodstock am Karpfenteich'.
Das Label jazzwerkstatt veröffentlichte in den 10 Jahren seines Bestehens 175 CDs, weitere 20 auf dem der World Music vorbehaltenen Label Morgenland, 30 auf dem der Kammermusik zugedachten Phil.harmonie und 50 auf ITM Archivs. LPs, DVDs, eine Box jazzwerkstatt Peitz Nr. 50 und sechs Buchveröffentlichungen kommen hinzu. Viele Veröffentlichungen fanden in die Bestenlisten der Deutschen Schallplattenkritik oder wurden 'Record Of The Year' im New York City Jazz Journal, die Covers bekamen Preise für die Gestaltung und 2014 dann den Deutschen Designpreis in Silber.
Das ist eine ordentliche Bilanz.
Das zu erreichen war nicht immer leicht, Hürden mussten überwunden werden, Skeptiker überzeugt und Förderer, staatliche, gesellschaftliche und private, gesucht und gefunden werden. Kulturpoltisch wurde in diesen 10 Jahren viel bewegt. Heute blicken wir auf eine äußerst aktive, ideenreiche und kräftige Jazzszene. Die jazzwerkstatt hat hierzu ihren Beitrag geleistet.
Obwohl es mit dem Jazz für mich nicht so leicht ist. Die Musik ist so breit gefächert, dass sie mir alles oder nichts bedeutet, es kann tiefgründiges emotionales Musizieren sein. Kunst im besten Sinne.
Jazz kann aber auch 'unterhaltsam' und flach sein, auf ein die Füße wippendes Publikum schielen, Jazz heißt es auch, wenn Swing-Orchester zum Tanz aufspielen und niemand tanzt, wenn junge Musiker wie die alten klingen wollen, sich Till Brönner wie Frank Sinatra gibt, wo er doch so gut Trompete spielt. Wenn Jazz in einer Bar den Martini schal werden lässt, wenn junge Sängerinnen wie Billy Holiday klingen wollen, es aber aufgrund ihrer fehlenden Lebenserfahrung nie so wie sie schaffen können, oder wenn eine rote Posaune Christmas-Songs in ausverkaufte Säle schmettert. Das alles nennt sich Jazz. Das alles will ich nicht!
Mir dreht es zuweilen 'die Ohren um'. Ich arbeite für eine Jazzszene, in der es um zeitgenössische Musik geht, gleich ob improvisiert oder komponiert. Work-in-progress, nicht nur auf der Bühne, auch in Programm- und Produktionsstrukturen. Das ist meine Sache. Das ist das Profil der jazzwerkstatt. Hierfür nimmt man dann auch, und das ist oft schmerzhaft, ein kleines Publikum in Kauf.
Daher auch meine Arbeit im weiten Feld der Kammermusik, denn die Brücke zwischen dieser und dem, was ich unter Jazz verstehe, sehe ich. Produktionen mit Komponisten wie Hanns Eisler, Kurt Weill, Boris Blacher, Dmitri Schostakowitsch oder Erwin Schulhoff, das ihm gewidmete Festival 'Brückenbauer in die Neue Zeit' im KMS war viel beachtet, stehen auf der Tagesordnung der jazzwerkstatt. In diesem Sektor Ignoranz und Arroganz zu überwinden und Verbindungen von einem zu anderen Genres zu bauen, ist Teil meines Tuns.
Auch die Konzerte im Herbst zeigen das genreübergreifende Profil der jazzwerkstatt. Unser zehnjähriges begehen wir in Cottbus im Glad House, in Schwerin im Schleswig-Holstein-Haus, im Potsdam-Museum in der Landeshauptstadt in Kooperation mit querkultur e.V. und natürlich in der Kulturbrauerei und mit besonderem Dank in der Landesvertretung Brandenburgs in Berlin. Neu auf der Agenda stehen Konzerte in der Elbphilharmonie in Hamburg, ein kleines Festival im Jazzclub Vortex in London, und besonders freue ich mich, dass ich das einstmals von mir 1986 gegründete und über einige Jahre von Martin Blume fortgeführte 'Ruhr-Jazzfestival' im Kunstmuseum Bochum, gemeinsam mit AMMR - 'Aktuelle Musik Metropole Ruhr' und der Stadt Bochum an den Start bringe, so dass die jazzwerkstatt Programme tief im Osten, in Peitz, und nun auch tief im Westen, in Bochum, stattfinden. Ulli Blobel - Berlin, im April 2017